Der Spiegel Nr. 36/1993 schreibt über Janosch und seinen Besuch in Polen:
Ganz Oberschlesien ist ökologisches Katastrophengebiet, die Luft mit Staub, Abgasen und
Schwermetallen verseucht. Janosch denkt in der Vergangenheit: "Wir kamen gar nicht auf die
Idee,
daß es eine andere Luft gibt."
Als viel verheerender sieht er das an, was ihm damals die katholische Kirche antat: "Sie hat
mich
total zerfetzt. Ich ging als Hackfleisch aus dieser Kindheit heraus."
Janosch, der sanfte Riese, Autor so vieler Kindergeschichten, die von eigenartig schwebenden
Glücksgefühlen erzählen, schildert im Gespräch seine eigene Kindheit als einziges
Horrorszenarium: Prügel von den Eltern, Sadismen der Nazi-Lehrer, Schindereien in der
"Hitlerjugend". Aber mit Abstand das Schlimmste für ihn war "die katholische
Gehirnwäsche" - ein lebensvergällendes Trauma. Mit Grausen erinnert sich der Ex-Katholik, wie
er "dreimal die Woche
bei Nacht und Nebel aus dem Bett gerissen und vor der Schule zur Messe gejagt" wurde.
Die Schule wird gerade renoviert. Die "Heilig-Geist-Kirche" gibt es nicht mehr. Sie wurde
1945
von den Russen niedergebrannt. An ihrer Stelle ist nun ein Glockenturm, der, als Janosch davorsteht,
zu
läuten beginnt: volle Dröhnung, minutenlang. Es ist Mittag in Polen.
"Mit Angstschweiß ging ich zur Beichte, denn Gott hatte dem Pfarrer die Macht übertragen, mir
zu
vergeben oder nicht." Monomanisch erklärt er alles Leid, das sein Leben beschwerte, aus den
Verletzungen, die ihm der Terror seiner Religionslehrer zugefügt hat: den Haß, die Alpträume, die
alkoholischen Exzesse, die seine Gesundheit ruinierten.
Uskow ist, wie könnte es anders sein, Zabrze. "Mit Uskow habe ich mich von dem Trauma meiner
Kindheit befreit", beteuert der Autor. Janosch aus Zabrze hat endlich den schweren Steinblock
des
Horst Eckert aus Hindenburg, den er zeitlebens auf dem Buckel schleppen mußte, abgeworfen.
Janosch lebt. Tod, wo sind nun deine Schrecken? "Der Name in meinem Paß ist falsch",
behauptet
Janosch: "Horst Eckert, das bin ich nicht - nicht mehr."
Anläßlich eines Besuchs des Autors in seiner Heimatstadt reagierten die polnischen Gastgeber
zunächst begeistert auf seine Absicht, ihnen ein Theaterstück zu schenken. Aber am nächsten Tag
seines Besuchs waren ihre Köpfe mit Bedenken gestopft. "Nein, nie und nimmer", sagt
Direktor
Kula, "kann dieses Stück hier öffentlich aufgeführt werden." Der Ratgeber des
Bürgermeisters
hatte es über Nacht gelesen: "Sehr interessant, aber nur einem handverlesenen Zirkel von
Intellektuellen
zumutbar."
"Ganz Uskow war katholisch: die Leute, die Häuser, die Bäume, die Steine, und was nicht
katholisch war, war des Teufels" - sagt der alte Steiner in seinem Selbstgespräch. Das scheint
heute mehr denn je für Polen zu gelten.
Rainer Galke / Karin Hopmann / zarte-bande@gmx.de